Das Start-up memodio gibt Einblicke in die Zeit nach dem BPW

Es war der 27. Januar 2022, als sich das Team von memodio mit seiner App zur Frühprävention von leichten kognitiven Störungen und anfänglicher Demenz beim BPW gegen 152 eingereichte Geschäftskonzepte durchsetzen konnte. Gut zwei Jahre später erzählt Mitgründer Dr. Doron Benjamin Stein, was seitdem passiert ist.

Gibt es ein passendes Medikament? Kann eine gute und ausgewogene Ernährung helfen? Und wenn ja, wie sieht sie aus? Welche Sportübungen und Gehirntrainings sind sinnvoll? Fragen, die sich viele Betroffene mit einer diagnostizierten leichten kognitiven Störung oder anfänglichen Demenz stellen. Eine direkte Antwort im Sinne eines umfassenden Behandlungsplans zur Verbesserung der eigenen geistigen und körperlichen Fähigkeiten gab es bis vor zwei Jahren nicht. Dann kam das Gründerteam von memodio um Dr. Doron Benjamin Stein, Felix Bicu und Paul Zimmermann und überzeugte auf Anhieb die Jury des BPW

„Mit unserer App bieten wir den drei bis sechs Millionen Menschen, die in Deutschland eine leichte kognitive Störung aufweisen, eine nicht medikamentöse multimodale Intervention, die dabei helfen kann, möglichst lang körperlich und geistig fit zu bleiben“, erzählt Mitgründer Dr. Doron Benjamin Stein. Konkret bezieht sich diese Intervention auf die Hilfe bei der Lebensstilanpassung sowie der kognitiven und körperlichen Aktivierung. Inhaltlich stützt sich die App als zugelassenes Medizinprodukt dabei auf sechs fundamentale Säulen: das Hirntraining, Seniorensport, Ernährungsanpassung, die Stärkung der sozialen Teilhabe, die Optimierung von Risikofaktoren sowie die Stärkung der Gesundheitskompetenz insgesamt. „Wichtig“, so Stein, „ist die regelmäßige Nutzung an mindestens fünf Tagen in der Woche, da leichte kognitive Störungen sowie eine fortschreitende Demenz chronisch, also nicht heilbar sind und deshalb permanent behandelt werden sollten“.

Die Idee zum digitalen Helfer für Menschen mit leichten kognitiven Störungen hatte Stein beim Schreiben vom „Weißbuch – Versorgung der frühen Alzheimerkrankheit“. „Mir wurde bewusst, dass sehr viele Menschen, die Demenz im Vorstadium haben, nicht ausreichend versorgt sind“, erzählt er. Nach dem Zuschlag für ein Exist-Gründungsstipendium gründete er gemeinsam mit Felix Bicu und Paul Zimmermann Ende 2021 memodio und machte sich damit auf, eine Versorgungslücke für Millionen von Betroffenen zu schließen.

Individueller Therapieplan mit wechselnden Inhalten

Könnte man Menschen, die unter einer leichten kognitiven Störung leiden, nicht einfach unmittelbar behandeln? Mit gemeinsamen Übungen und einer begleitenden Physiotherapie? Ganz bestimmt sogar! Das Problem ist, dass es trotz vorheriger Diagnose aktuell keine Konsequenzen in der Behandlung gibt, da es im Gesundheitssystem an Geld und Personal mangelt. Und das, obwohl die notwendigen Maßnahmen zum Verlangsamen des Verlusts der eigenen Fähigkeiten durchaus vorhanden sind. „Wir schließen diese Lücke, indem wir alle bekannten Maßnahmen, die nachweislich zur Gehirnaktivierung beitragen, in einer App zusammenführen und portionsweise an die Betroffenen bringen“. Der Clou: Nutzerinnen und Nutzer werden täglich dazu angeregt, 20- bis 30-minütige Einheiten zu absolvieren. In diesen trainieren sie in Spielen ihr Gedächtnis und ihre Konzentration oder treiben Sport: Mithilfe von Videos fördern sie ihr Gleichgewicht, ihre Kraft oder ihre Ausdauer. Fortschritte lassen sich an einem mitwachsenden Baum erkennen, der an Tag 1 noch ein kleines Samenkorn ist. Mit dem im Zeitverlauf wachsenden Baum ist es wie mit der geistigen Gesundheit. Wer sich nicht um sie kümmert und sie nährstoffreich pflegt, sieht, wie sie langsam verwelkt.

Der Therapieplan von memodio unterstützt mit zahlreichen integrierten Rezepten zudem bei der gesunden Ernährungsumstellung und der aktiven sozialen Teilhabe. „Menschen, die Einsamkeit verspüren, haben das höchste Risiko für Demenz. Wir weisen auf Angebote hin, die helfen können und unterstützen zudem dabei, sich eines Vorhabens anzunehmen. Egal, ob es der Kaffee mit einem Nachbarn, der Spaziergang mit einem Enkelkind oder der Besuch eines Freundes ist. Wir helfen dabei, die geplante soziale Teilhabe auch in die Tat umzusetzen“, so Stein.

Individuell nutzbar und teilweise kostenfrei

Mittlerweile nutzen 500 bis 1.000 Menschen die App regelmäßig, um ihre kognitiven Leistungen aufrechtzuerhalten und zu verbessern. Das Besondere ist, dass jede Nutzerin und jeder Nutzer eine andere Nutzungserfahrung hat: „Wir haben die App gemeinsam mit neurologischen, gerontologischen, psychologischen sowie ernährungs- und sportwissenschaftlichen Expertinnen und Experten entwickelt und dabei berücksichtigt, dass jeder Mensch anders ist. Es gibt nicht die App von memodio, sondern eine App, die jedem Betroffenen je nach dessen beschriebenen Vorerkrankungen und Symptomen einen individuellen Behandlungsplan und deshalb auch individuelle Übungen zukommen lässt. Die Nutzung ist dabei intuitiv und kann leicht in jeden Tag integriert werden“.

Kerngedanke der App ist die Entlastung des Gesundheitssystems und die Unterstützung von Betroffenen, die sonst keine Hilfe bekommen würden. Dem Gesundheitssystem fällt es laut Stein jedoch insgesamt schwer, auf Neuerungen zu reagieren und bei einem schnellen Markteintritt zu unterstützen, obwohl die Kassen insgesamt entlastet würden. „Es ist oft viel Überzeugungsarbeit nötig. Stand jetzt ist die App aber bereits für Versicherte der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland, der AOK Plus und seit kurzem auch der Mobilkrankenkasse möglich. Weitere werden aller Voraussicht folgen“. Für private Nutzerinnen und Nutzer kostet die App aktuell 27,99 Euro im Monat.

Die Begleitung von Demenz-Medikamenten

Eine Hürde, mit der memodio zu kämpfen hat, sind die extremen Beschränkungen der EU, wenn es um Medizinprodukte geht. „Bereits der Zulassungsprozess war sehr zäh. Am Ende haben wir nur für den regulatorischen Part ein ganzes Jahr und zehntausende Euro gebraucht, die wir selbst aufbringen mussten. Noch immer geben wir einen nicht geringen Teil der monatlichen Ausgaben für die Erfüllung der regulatorischen Anforderungen aus“, so Stein. Hinzukomme, dass sich mit der neuen Medizinprodukterichtlinie und dem EU-AI-Akt große Hürden auftun, wenn es um die Implementierung künstlicher Intelligenz in eigentlich niedrigschwellige Anwendungen geht. Die Zukunft sieht Stein deshalb vor allem in der thematischen Erweiterung der App. „Wir haben festgestellt, dass 30 bis 35 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer, die die App einmal heruntergeladen haben, sie dauerhaft nutzen. Ein sehr guter Wert. Bei den meisten liegt die kognitive Störung bereits vor. Da viele Menschen den Besuch beim Arzt scheuen und gar nicht wissen wollen, was ihnen fehlt, wäre es denkbar, mit digitalen Testverfahren bezüglich einer möglichen kognitiven Störung bereits einige Schritte vorher anzusetzen“.

Ebenfalls interessant für memodio sind aktuelle Bewegungen im Feld der medikamentösen Demenzbehandlung. Nach 20 Jahren Forschung gibt es aktuell nämlich erstmals Neuzulassungen von Medikamenten im Demenzbereich. In den USA ist mit dem Alzheimer-Medikament „Leqembi“ im vergangenen Jahr sogar erstmals ein Antikörper für frühe Alzheimerdemenz (also leicht kognitive Störungen) zugelassen worden. In der EU ist er beantragt. „Es tut sich etwas in der Demenzforschung. Im Zuge möglicher neuer medikamentöser Behandlungen sehen wir uns als Vermittler. Wann sollte welches Medikament eingenommen werden? Welche Nebenwirkungen können auftreten und wie erkenne ich diese? Bei solchen und weiteren Fragen können wir ansetzen, um unsere Anwendung perspektivisch von der ersten Frühdiagnose über die Unterstützung bei der Einnahme von Medikamenten bis zur Verbesserung der eigenen Fähigkeiten mittels zahlreicher Übungen weiterzuentwickeln“.